Reflexionen schaffen neue Wahrnehmungen
Kunst & Baukultur
Im «Reflektorium» von Daniela Schönbächler erschliessen sich ganz neue Welten. Je nach Witterung und Helligkeit wechseln die Stimmungen und geben dem Besucher etwas mit auf den Weg.
Oberägeri – Spiegel üben seit ihrer Erfindung eine Faszination auf Mensch und Tier aus. In der Barockzeit galt als angesehen, wer sich Spiegel leisten konnte – ein Spiegelkabinett in einem Schloss war nicht selten so teuer wie das ganze Gebäude. Heute sind Spiegel freilich nicht mehr so kostbar, aber ihr Reiz ist ungebrochen – in den Augen vieler Menschen umgibt Spiegel gar eine mystische Aura.
Die Eigenschaften von Spiegeln hat sich die international tätige Zuger Künstlerin Daniela Schönbächler (*1968) für ihr «Reflektorium» zu Nutze gemacht. Dieses Kunst-und-Bau-Projekt wurde im Zuge der Hofmattschulhaus-Erweiterung in Oberägeri realisiert und Mitte August 2016 seiner Bestimmung übergeben. «Es sollte ein Objekt sein, das vom Gebäude losgelöst ist und folglich ein eigenständiges Element darstellt», sagt Daniela Schönbächler. So fiel die Standortwahl auf den ausladenden Platz vor dem Schulhaus, wo es viel Freiraum und Licht gibt und wo sich nicht nur Schulkinder aufhalten, sondern auch viele Passanten vorbeikommen. «Das ‹Reflektorium› ist eine Installation für alle», erklärt die Künstlerin.
Betritt man das 4,2 mal 2,3 Meter grosse, gegen den Himmel hin offene Spiegelkabinett durch einen der beiden Zugänge, findet man sich just in einer völlig neuen Welt – so hat man den Eindruck. Der mit 20 quadratischen Spiegelplatten ausgekleidete Raum mit rechtwinkligen Ecken ermöglicht neue, ungewohnte Wahrnehmungen der sich reflektierenden Umgebung gleich wie von sich selbst. Tageslicht und Witterung tragen wesentlich zum jeweiligen Stimmungsbild bei und variieren die interaktive Raumerfahrung des Betrachters immer aufs Neue.
Und diese Interaktion mit den Reflexionen sowie das ungewohnte Raumgefühl sind aus Sicht der Künstlerin ein zentraler Aspekt des «Reflektoriums». Daniela Schönbächler: «Der Besucher soll nicht einfach schauen und wieder weggehen. Sondern er sollte etwas davon mit sich nehmen. Ein Gefühl, einen visuellen Eindruck, eine überraschende Wahrnehmung. Interaktion dieser Art ist auch der Sinn von öffentlich zugänglichen Installationen.» Nicht zuletzt sei der Betrachter dadurch angehalten, den Ort wiederholt zu besuchen und ihn neu zu erleben. Damit der potenzielle Spielraum an Wahrnehmungen im «Reflektorium» noch erweitert wird, hat Daniela Schönbächler LED-Lampen integriert, welche nach der Abenddämmerung leuchten. So entfaltet der Raum auch im Dunkeln neue Wirkungsfelder.
Damit sich die Wirkung des Kunstwerks nicht nur auf das Innere beschränkt, sondern auch gegen aussen einen optischen Akzent setzt, hat Daniela Schönbächler die Oberfläche der Stahlbetonwände mit einer Goldlasur überzogen. Es handelt sich um eine Spezialfarbe mit metallischen Pigmenten, welche auf Sichtbeton gut haftet. «Auch von aussen entstehen somit unterschiedliche Effekte, je nach Lichteinfall», erklärt die Künstlerin und unterstreicht die Besonderheit dieser Goldlasur, welche vor allem in der Barockzeit für die Beschichtung von Zifferblättern an Turmuhren Verwendung fand. «Es war mir wichtig, dass sich die Installation auch von aussen betrachtet von ihrer Umgebung abhebt.»
Das ist der Künstlerin, welche in Venedig, London und in der Schweiz lebt und arbeitet, bestens gelungen. Denn betritt man die weite Fläche des Schulhausplatzes – gleichgültig, von welcher Seite –, so fällt die einfache, aber markante Geometrie des «Reflektoriums» sofort ins Auge. Eine klare Einladung zum genaueren Betrachten sind bereits von weitem die zwei Öffnungen an der Seite, durch welche die Reflexionen aus dem Innenleben des Baukörpers geheimnisvoll schimmern und blitzen. (Andreas Faessler)
HinweisMit «Hingeschaut!» gehen wir Details mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach. Frühere Beiträge finden Sie online unter www.zugerzeitung.ch/hingeschaut